Eine Dokumentation entsteht

Zunächst einige Vorüberlegungen zur Darstellung des Gesamtzusammenhangs: Am 9./10. November 2013 jährt sich zum 75. Mal die so genannte Reichspogromnacht. Während die SS 1938 im gesamten Reichsgebiet Synagogen, jüdische Geschäfte, Häuser demoliert und in Brand setzt, werden in Lahr an diesem Tag alle jüdischen Männer misshandelt, „in Schutzhaft genommen“, teils nur halb bekleidet durch Lahr getrieben und ins KZ Dachau verschleppt.

Historisches Bewusstsein

Seit 1997 findet in Lahr alljährlich für die Dauer von drei Wochen die „Chrysanthema“ statt. Während sich in anderen Städten der Herbst in nebligem Grau präsentiert, blüht Lahr im wahrsten Sinne des Wortes auf. Die ganze Innenstadt ist geschmückt mit Chrysanthemenarrangements, begleitet von zahlreichen kulturellen Veranstaltungen und lockt tausende Besucher aus Nah und Fern an. Die kommerzielle Veranstaltung endet im Jahr 2013 am 10. November. Tags zuvor dieses denkwürdigen Jahrestags bildet ein Feuerwerk den krönenden Abschluss der Blumenschau. Beide Ereignisse finden parallel statt. Obwohl Widerspruch aus der Bevölkerung in Form von Leserbriefen Jahre zuvor darauf aufmerksam macht, scheint das auf diese Entscheidung zum historischen Gedenktag keinen nachhaltigen Einfluss gehabt zu haben.

Pflege der Gedenksteine

Am 6. November 2013 findet eine Reinigungsaktion der Lahrer „Stolpersteine“ statt, angeregt von einem evangelischen Stadtpfarrer und zwei Konfirmandengruppen. Er ist offen für beide Seiten und hält den Kontakt zu mir wie auch zu den selbsternannten Aktivisten in Sachen „Stolpersteine“ im Stadtarchiv oder im Historischen Verein. Der Stadthistoriker präsentiert sich in der Öffentlichkeit als Initiator für das Reinigen und Aufpolieren der Gedenksteine. An der Aktion nehmen auch vier Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse der Friedrichschule teil, die das Thema als Projektprüfung gewählt haben.

Drei Tage später referiert der Stadthistoriker im Alten Rathaus über das, was sich 75 Jahre zuvor vor Ort ereignet hat. Er bezieht sich dabei auch auf die „Stolpersteine“. Im Gespräch und in der Diskussion zeigt sich, dass ein Rundgang bzw. eine Dokumentation von Interesse ist. Im Anschluss daran ist den Besuchern die Möglichkeit gegeben, zusammen mit mir einige Standorte der Kleindenkmale zu besuchen. Der so geplante Ablauf ist ein Verdienst des Stadtpfarrers, der Lahr inzwischen verlassen hat. Hinsichtlich der Zukunftsperspektive für die „Stolpersteine“ jedoch sagt der Stadthistoriker, dass er nicht wisse, wie diese aussehen solle.

Erste Schritte in der Planung einer Dokumentation

Einen Tag später nimmt der Rektor der Friedrichschule mit dem Stadthistoriker Kontakt auf. Obwohl vor dieser Schule zu diesem Zeitpunkt der Gedenkstein für meine Großmutter bereits seit sieben Jahren liegt, werde ich nicht ein einziges Mal angefragt, über ihr Leben und ihr Schicksal zu berichten. Als ich einmal eine Schülergruppe darauf anspreche, erhalte ich die Auskunft, das würden die Lehrkräfte der Schule tun. Sie würden über die Bedeutung des „Stolpersteins“ informieren.

Und wie planen und organisieren nun der Rektor der Friedrichschule und der Stadthistoriker die Dokumentation der Lahrer „Stolpersteine“? Sie treffen intern Vorentscheidungen. Der Schule kommt eine federführende Rolle zu, sprich eine Lehrkraft erarbeitet Inhalte mit einer 10. Klasse in Kooperation mit dem Historischen Verein. Wie die Dokumentation im Einzelnen gestaltet wird, entzieht sich meiner Kenntnis, wird mir vorenthalten. Zeitnah wird eine Schülergruppe im Stadtarchiv zu den jüdischen Opfern mit Materialen versorgt. Was fehlt, sind Informationen zur Opfergruppe NS-Euthanasie. Ich werde von der Schülergruppe telefonisch angefragt. Wir verabreden uns im Stadtarchiv und ich gehe davon aus, dass es ein gemeinsames Gespräch geben wird. Vor Ort, im Besprechungsraum außerhalb des Stadtarchivs, stelle ich fest, dass ich mit der Gruppe alleine bin. Bereits in der Woche zuvor hatte intern eine Besprechung im Stadtarchiv stattgefunden. Mich beschleicht ein unangenehmes, befremdliches Gefühl. Im Grunde ging es nur darum, sich ergänzende Informationen zum bevorstehenden Projekt zu beschaffen, ohne mich einzubinden oder direkt am Geschehen zu beteiligen.

Meine Ideen

Am 10. Dezember 2013 kann ich den Oberbürgermeister sprechen und rege an, gerne eine Dokumentation mit Schülerinnen und Schülern der Friedrichschule zu erarbeiten. Ich füge einen Kostenplan bei und bitte um Überprüfung, ob zu diesem Zweck zwischen der Stadt Lahr und mir ein Werkvertrag bis zum Abschluss der Arbeit geschlossen werden kann. Hier erfahre ich erstmals, dass die Friedrichschule bereits mit genau diesem Anliegen an die Stadtverwaltung herangetreten sei.

Ich nehme Kontakt zum Stadthistoriker auf und bitte ihn um ein persönliches Gespräch, das am 18. Dezember 2013 in einem Lahrer Bistro stattfindet. Bei dieser Gelegenheit teilt er mir mit, dass eine Dokumentation mit der Friedrichschule vereinbart sei unter der Regie der Schule. Auf gar keinen Fall würde ich die Erarbeitung leiten. Ich frage ihn, ob alles genau so laufe, wie er das wolle und dass ihn eine andere Meinung offenbar nicht interessiere. Diese Frage gefällt ihm gar nicht und das Gespräch lädt sich emotional immer mehr auf. Er unterstellt mir, nicht kooperativ zu sein und teilt mir gleichzeitig mit, dass die Einzelschicksale durch die Schülerinnen und Schüler erarbeitet würden. Das bedeutet, dass mir unbekannte Dritte einen Text zu Lebensgeschichte und Schicksal meiner Großmutter verfassen, ohne dass ich zuvor gefragt worden wäre. Ich sage ihm, dass ich bei ihm jegliche Form von Anstand, Respekt und Fairness mir gegenüber vermisse. Der Stadthistoriker scheint diese Art des Vorgehens für alternativlos zu halten. Ich bin fassungslos.

Meine Intention wäre gewesen, alle Interessierten an einen Tisch zu bringen und mit einer Ideensammlung zur Gestaltung des Projekts zu beginnen. Ein nächster Schritt wäre die Aufgabenverteilung nach den Neigungen und Interessen der einzelnen Teilnehmer gewesen. Argumente interessieren den Stadthistoriker aber nicht. Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst, lautet seine Devise. Diese Art des Vorgehens ist geeignet, Kontakt, Gespräch, Auseinandersetzung zwischen den Schülerinnen und Schülern, der Lehrkraft und mir zu verhindern. Fingerspitzengefühl und Sensibilität wären gefragt gewesen. So bleibt der gesamte Vorgang auf der Ebene von Manipulation und Instrumentalisierung.

Kommunales Selbstverständnis und Interessen

Das Diktat von kommunaler Seite nimmt weitere konkrete Züge an. Ich habe die Möglichkeit, einen allgemeinen Teil von sieben Seiten zu schreiben, wie es zu Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung kam. Auf weiteren drei Seiten soll ich mich zu Demnigs „Stolpersteinprojekt“ äußern. Der Rahmen für meine Zuarbeit ist damit abgesteckt und vorgegeben. Was fehlt sind sowohl inhaltliche Konkretisierung oder auch nur eine Literaturempfehlung. Mit der Umsetzung der Vorgaben bin ich wiederum mir selbst überlassen.

Am 14. Januar 2014 findet beim 1. Beigeordneten ein Gespräch statt, an dem auch der Rektor der Friedrichschule, die mit der Aufgabe betraute Lehrkraft, der Stadthistoriker und auch ich teilnehmen. Als Motto gilt: „Wir haben ein tolles Projekt und wir wollen nach vorne schauen“. Die bereits getroffenen Vorabsprachen wie bereits erwähnt, stehen weder zur Diskussion noch zur Disposition. Ich habe Gelegenheit, mir zu überlegen, ob ich mich auf diese letztendlich fremd bestimmte Form der Zusammenarbeit einlassen will. Gegen meine innere Überzeugung stimme ich wenige Tage später zu, auch aus dem Gefühl heraus, dass ich sonst am weiteren Prozess gar nicht mehr beteiligt gewesen wäre. Mein Honorar hat die agierende Gruppe eigenmächtig auf 20 % dessen reduziert, was ich veranschlagt hatte. Auch das wurde nicht kommuniziert oder einer einvernehmlichen Lösung zugeführt. Im Nachhinein kommt mir das Honorar für meine erbrachte Leistung wie eine Art Entsorgungsprämie vor.

Am 5. Februar 2014 teilt mir der Oberbürgermeister oder eher sein Stadthistoriker die Rahmenbedingungen für die „Zusammenarbeit“ schriftlich mit. Ich erfahre, dass im April bereits Redaktionsschluss sei. Am 18. Februar 2014 lasse ich dem Oberbürgermeister ein Schreiben zukommen mit einem Fragenkatalog, den ich ihn bitte, mir schriftlich zu beantworten und den ich hier wiedergebe. Ich zitiere:


  1. Nach meiner Anfrage an Sie vom 10.12.2013 erfahre ich erstmals, dass die Stadt Lahr in Kooperation mit dem Stadtarchiv und dem Historischen Verein eine solche Dokumentation plant. Weshalb wurde ich als Initiatorin des Projekts nicht eingebunden?
  2. Während der Zeit, als ich noch zuständig war für die Verlegung von Stolpersteinen, war die Recherche der Einzelschicksalsbiographien elementarer Bestandteil meines Engagements. Nun steht bereits fest, dass die Schülergruppe der Friedrichschule dafür zuständig ist. Vor dieser Schule liegt der Gedenkstein, der an meine Großmutter erinnert. Das war und ist eines meiner zentralen Anliegen, weshalb ich das Erinnerungsprojekt überhaupt ins Leben gerufen habe. Wenn ich Sie nun richtig verstehe, dann befassen sich mir unbekannte Dritte mit der Lebensgeschichte und dem Schicksal meiner Großmutter. Weshalb werde ich hier überhaupt nicht gefragt?
  3. Woher erhält die Schülergruppe ihre Informationen zur Gestaltung der Broschüre? Ich habe umfangreiches Material gesammelt, das ich gerne bereit bin einzubringen. Das sollte dann aber auch kommuniziert werden und in der finanziellen Berechnung ihren Ausdruck finden.
  4. Weshalb ist bereits im April Redaktionsschluss? Hat das mit der geplanten Verlegung von Stolpersteinen durch den Historischen Verein am 21. Mai 2014 zu tun?
  5. Das Gespräch beim Ersten Beigeordneten am 14.01.2014 ergab, dass die geplante Dokumentation ein Projekt der 10. Klasse sein wird, also erst im Schuljahr 2014/15 entsteht. Die Schülerinnen und Schüler hätten damit noch nicht begonnen. Nun teilen Sie mir mit, dass die Arbeit bereits begonnen habe. Was stimmt nun?

Sie werden verstehen, dass ich den Beitrag zur Lebensgeschichte meiner Großmutter in der Broschüre gerne selbst verfassen möchte. Lassen Sie uns doch diesen Sachverhalt und wie ich mich in die Biographiearbeit einbringen kann in einem persönlichen Gespräch klären. Ich bitte Sie hierfür um einen Termin.“


In seinem Antwortschreiben vom 11. März 2014 bedankt sich der Oberbürgermeister für meine Bereitschaft, an der geplanten Dokumentation mitzuwirken. An anderer Stelle sagt er: „Sie haben in Ihrem Schreiben einen umfangreichen Fragenkatalog formuliert, auf den ich nicht im Detail eingehen möchte“. Darüber hinaus verweist er noch auf das Gespräch vom 14. Januar 2014, in dem für ihn alles offenbar geklärt wurde. Einen Gesprächstermin erhalte ich nicht mehr.

Anfang April 2014 erhalte ich einen Anruf einer Schülerinnengruppe der Friedrichschule und erfahre, dass sie für die Erarbeitung des Projekts kaum Materialien habe. Gefragt, ob ich bereit sei, in die Schule zu kommen zu einem Gespräch, stimme ich dem Anliegen zu. Doch zunächst gibt es für mich noch Klärungsbedarf mit den Verantwortlichen der Stadt Lahr. Das teile ich den Mädchen mit. Danach würde ich mich wieder melden. Darauf lässt sich von Seiten der Stadt Lahr niemand ein.

Die Entstehung der Dokumentation erfolgt nun in zwei getrennten Richtungen. Ich schreibe die beiden allgemeinen Teile und in der Friedrichschule entstehen die einzelnen Biographien. Mir wird eine Frist gesetzt bis Ende Mai 2014 für die Fertigstellung der Texte. Ich halte mich an die Vorgaben und liefere zum vereinbarten Termin.

Ein persönlicher Kontakt mit zwei Schülerinnen und der Lehrkraft

Ergänzend möchte ich noch ein Gespräch schildern, das am 6. Mai 2014 in einem Lahrer Café stattgefunden hat. Anwesend sind die beauftragte Lehrkraft für die Dokumentation, zwei Schülerinnen der Friedrichschule und ich. Als ich erscheine, sind alle drei bereits da. Gewählt hatte man den Tisch in der hintersten Ecke des Lokals. Die beiden Schülerinnen haben Platz genommen gegenüber der hinteren Ecke, die Lehrkraft hat sich für den vorderen Platz der beiden noch übrig gebliebenen entschieden. So bleibt mir der Platz in der hintersten Ecke, zumindest nach dem vorläufigen Arrangement. Ich bin es gewohnt, lieber am gegenüberliegenden Fenster Platz zu nehmen und weise darauf hin. Dort ist ein Tisch aktuell auch frei. Wir wechseln den Platz und nachdem mir eine Einladung ausgesprochen wird, beginnt das offizielle Gespräch, das allenfalls zehn Minuten dauert, bevor es von der Lehrkraft entrüstet abgebrochen wird. Ein eingeschaltetes Handy liegt auf dem Tisch. Gefragt, ob ich damit einverstanden bin, werde ich nicht. Und ich bin nicht damit einverstanden, fordere die Mädchen auf, das Handy abzuschalten. Dann erfolgt die hektische Suche nach Papier, um sich Notizen zu machen.

Dass ich bereit bin, den Fragenkatalog der Schülerinnen zu beantworten, setzt die Gruppe als selbstverständlich voraus. Ich erkläre, dass Planung und Organisation bislang mehr oder weniger an mir vorbei gegangen seien, dass ich vor diesem Hintergrund schon mehr hinein gegeben hätte als vorgesehen, als mir gut tut und ich verkraften könne. Darüber hinaus wolle ich mich zum damaligen Zeitpunkt nicht äußern. Die beiden Schülerinnen zeigen ihre Enttäuschung und bedauern den Verlauf des Gesprächs. Ich tue das übrigens auch und so stelle ich meine Alternative vor. Gerne würde ich in der Schule mit der ganzen Klasse ins Gespräch kommen. Auch ich habe Fragen an die Gruppe und gemeinsam könnten wir beispielsweise erörtern, weshalb der Gedenkstein für meine Großmutter im Eingangsbereich der Schule liege. Schließlich handle es sich hierfür um einen ungewöhnlichen Ort. Diese Idee überhört und ignoriert die Lehrkraft.

Zeitlicher Ablauf

Zusammenfassend stellt sich der weitere Fortgang wie folgt dar: Neben der gesetzten Frist für die Ablieferung meiner Texte bis Ende Mai 2014, erhalte ich erst nach Aufforderung vom Textblatt zur Lebensgeschichte meiner Großmutter Kenntnis. Am Ende steht: „Quelle: Gardy Ruder“. Ein Gespräch mit mir hat aber zu keiner Zeit stattgefunden. Die Informationen bezieht die Schülerin von einem Gedenkblatt im Ortenauer Gedenkbuch, ausgelegt in der Ehemaligen Synagoge Kippenheim. Großzügig wird mir ein Vorschlags- und Ergänzungsrecht eingeräumt.

In den drauffolgenden Monaten frage ich immer wieder beim Stadthistoriker bzw. dessen Vorgesetzten, dem Ersten Beigeordneten nach, wann die Dokumentation erscheine und dass ich gerne vorab ein Belegexemplar hätte, was nach meinem Verständnis eigentlich selbstverständlich sein sollte. Hier erlebe ich Ähnliches wie der Engagierte, der zur Lebensgeschichte von Johannes Böhme recherchiert hat. Ich werde immer wieder vertröstet bis mir schließlich der Termin 27. November 2014, 17 Uhr in der Friedrichschule genannt wird. In der offiziellen Einladung, unterzeichnet durch den Rektor der Friedrichschule und den Stadthistoriker als 1. Vorsitzendem des "Historischen Vereins für Mittelbaden Regionalgruppe Geroldsecker Land e.V." steht zu lesen: "nach einem langen Weg und harter Arbeit dürfen 19 Schülerinnen und Schüler der ehemaligen Klasse 10a der Friedrichschule Lahr nun besonders stolz sein: Ihr Buch "Stolpersteine in Lahr" liegt druckfrisch vor und wartet darauf, der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden. Zahlreiche Biographien von Menschen, für die in Lahr Stolpersteine verlegt wurden, haben sie recherchiert und geschrieben, Interviews mit dem Künstler Gunter Demnig sowie Opferangehörigen geführt und so einen wertvollen Beitrag für die Geschichts- und Gedenkkultur Lahrs geleistet. Die Mitgliedergruppe Geroldseckerland des Historischen Vereins für Mittelbaden hat deshalb sehr gerne die Finanzierung und Herausgeberschaft des Buches übernommen."

Öffentliche Vorstellung der Dokumentation

Am Tag der Präsentation entschließe ich mich, daran teilzunehmen. Als ich in der Friedrichschule erscheine, entsteht Unruhe, insbesondere beim Rektor der Schule. Er verlässt mehrfach den Raum und kehrt wieder zurück. Damit gerechnet, dass ich kommen würde, hatte er offenbar nicht. In seiner Begrüßung nennt er namentlich den 1. Bürgermeister, einige Stadträte der SPD und der Grünen, den Stadthistoriker, Frau G., die ihm zuarbeitet und die mit der Dokumentation betrauten Lehrkräfte. Bei der Leiterin des Projekts handelt es sich um eine junge Frau, die für wenige Monate an der Schule unterrichtet hat und die zum damaligen Zeitpunkt an der Sorbonne studiert. Zum Ereignis fliegt sie eigens aus Paris ein, was bei den Anwesenden zu einem anerkennenden Raunen führt. Für mich ist das ein Zeichen, dass die Beteiligten am Projekt es vorziehen in der Öffentlichkeit zu glänzen.

Darauf, mich in die Begrüßung einzubeziehen, verzichtet der langjährige Leiter der Schule. Ich frage mich, welche Bedeutung der hauseigene "Stolperstein" im Eingangsbereich der Schule für ihn haben mag, der an meine Großmutter erinnert, wenn er sich in dieser Form mir gegenüber verhält. Ich habe den Eindruck, meine Oma wird erneut erniedrigt, gedemütigt, respektlos behandelt und ich fühle mich diskriminiert. Wenn der Rektor dann noch aus dem Vorwort der Schülerinnen und Schüler zitiert: "Wir können es nicht verstehen, dass Menschen wegen ihres Glauben, ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder aufgrund ihrer ethnischen oder nationalen Herkunft ausgegrenzt und erniedrigt werden. Wir stehen diesen vermeintlichen "Gründen" für die Diskriminierung mit Fassungslosigkeit gegenüber.", dann erscheint mir dieses Zitat aus dem Mund des Rektors wie blanker Hohn.

Erwähnen möchte ich noch, dass die Projekt betreuende Lehrkraft sich für meine Beiträge im Vorwort bedankt und mir auch die Hand reicht. Unabhängig davon sind die Beiträge der Schülerinnen und Schüler beeindruckend und zeugen von einem hohen Kenntnisstand an Sachwissen, auch in der Darstellung. Darüber hinaus enthält die knapp einhundert Seiten umfassende Broschüre neben den Vorworten Biographien zu den Opferschicksalen, Interviews mit Angehörigen, dem Künstler, weiteren regionalen, historisch oder kommunalpolitisch Engagierten. An meinen beiden Texten wurden teilweise gravierende Veränderungen vorgenommen, ohne dass das mit mir besprochen worden wäre.

Neben einem allumfassenden Loblied auf das gelungene Werk, zeigt der Erste Bürgermeister den einzigen kritischen Ansatz. Er begrüßt mich namentlich und sagt, dass es allgemein bekannt sei, dass wir uns aneinander gerieben hätten. Das stimmt so allerdings nicht. Denn dann hätte eine Auseinandersetzung stattgefunden. Die aber haben die Akteure und Entscheidungsträger mit allen Mitteln vermieden und verhindert. Viele kommen zu Wort bei der Präsentation. Ich natürlich, aus nachvollziehbaren Gründen, nicht. Alle Beiträge beziehen sich auf das gelungene Gesamtwerk. Meine Großmutter und der Gedenkstein, der vor der Schule liegt, kommen mit keiner Silbe vor. Insgesamt stellt sich mir der Sachverhalt so dar und ich sage das jetzt bewusst allgemein: Lahr glänzt in der Öffentlichkeit, aber ich kann nicht erkennen, dass es um ein Bewusstsein geht, dass sich Menschenverachtung und Ausgrenzung nicht mehr wiederholen.

Fragen, Fragen, Fragen, .....

Wie sehen die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung des "Stolpersteins" für meine Großmutter vor ihrer Schule? Zu welchen Erkenntnissen wären sie gekommen, wenn wir Gelegenheit gehabt hätten, diesen Punkt zu diskutieren? Wenn die Schülerinnen und Schüler im Alltag mit ausgrenzendem Verhalten konfrontiert sind, wie gehen sie damit um? usw. usf. Das wäre für alle Beteiligten eine Chance gewesen, die in dieser Form leider vertan wurde. Und wie wird der Rektor der Schule seiner Vorbildfunktion gerecht, die er seinen Schülerinnen und Schülern gegenüber zweifelsohne hat, vor dem Hintergrund seines Verhaltens mir gegenüber?

Die Art des Vorgehens derjenigen, die mit der Dokumentation befasst waren, missbillige ich entschieden. Dennoch bin ich den Verantwortlichen der Stadt Lahr auch zu Dank verpflichtet, da sie sich so gravierend unmenschlich und keineswegs angemessen verhalten haben, dass ich den Sachverhalt und die Zusammenhänge hier darstellen kann und der ausgrenzende Charakter ihres Handelns deutlich wird.