Von der Möglichkeit, Einspruch zu erheben gegen die Verlegung eines „Stolpersteins“ haben Lahrer Bürgerinnen und Bürger Gebrauch gemacht.
Für ehemals „arisierte“ jüdische Immobilien von heutigen Hauseigentümern die Zustimmung für die Verlegung der Kleindenkmale zu bekommen, war keineswegs selbstverständlich. Bestanden Kontakte zu etwaigen Überlebenden oder wurde in den Familien über jene Vorgänge gesprochen, so war die Chance einer Zustimmung gegeben. Die Regel allerdings war, dass die Thematik als Problem wahrgenommen, verdrängt und beschwiegen wurde.
Für die fünf Gedenksteine, die am 12. Januar 2004 verlegt werden, bleibt folgendes zu sagen:
Das Haus wird von der „Städtischen Wohnungsbaugesellschaft“ verwaltet. Der Geschäftsführer teilt dem Kulturamtsleiter am 22.08.2003 telefonisch seine Zustimmung mit, was dieser mir am gleichen Tag schriftlich bestätigt.
Das Haus gehört zum damaligen Zeitpunkt dem ehemaligen Kulturamtsleiter der Stadt Lahr. Sein Vater hatte es 1939 vom jüdischen Vorbesitzer erworben. Eine 10. Klasse des Lahrer Scheffelgymnasiums beteiligt sich mit Recherchen am Projekt. Zwei Schülerinnen verfassen ein Gedenkblatt, auf dem die Lebensgeschichte des Kaufmanns und Lokalpolitikers in Kurzform dargestellt ist und das von mir begleitet wird. Wir haben auch Gelegenheit, Dokumente über den Verkauf von Geschäft und Wohnhaus einzusehen. Der Hauseigentümer erteilt nach mehrfacher Überarbeitung des Textes schließlich sein Einverständnis für die Verlegung der Gedenksteine und sponsert diese auch. Sein wichtigstes Anliegen dabei: das Ansehen seines verstorbenen Vaters darf nicht beschädigt werden. Die beiden Schülerinnen erkennen am Ende des Prozesses ihren eigenen Text nicht mehr wieder und sind fortan nicht mehr bereit, am Projekt weiter mit zu arbeiten.
Das Anwesen befindet sich zum damaligen Zeitpunkt im Besitz einer benachbarten Familie, die mit dem 1937 in die USA emigrierten Bruder und Sohn auch in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts brieflichen und persönlichen Kontakt pflegt. Was sich in Lahr am 9. und 10. November 1938 ereignet hat, hat sich der Mutter der Hauseigentümerin für immer ins Gedächtnis eingebrannt. In dieser Familie werden diese Vorgänge erörtert.
Zu welch absurden Formen der Gemeinderatsbeschluss führen kann, sei am Beispiel für die fünf Gedenksteine vor dem Haus Lotzbeckstr. 15 dargestellt. Sie werden am 17. Juli 2004 durch einen Mitarbeiter des Bauhofs verlegt. Im Haus befinden sich neun Eigentumswohnungen als Verwaltungsgemeinschaft. Alle sind zum damaligen Zeitpunkt vermietet, die Hauseigentümer wohnen verstreut im Bundesgebiet. Alle neun Hauseigentümer werden angeschrieben und um Zustimmung gebeten für die Verlegung der Gedenksteine. Drei Antworten kommen zurück: eine volle Zustimmung, eine Zustimmung, wenn keine Kosten entstehen und eine Ablehnung. Das veranlasst den Oberbürgermeister in Absprache mit dem Ältestenrat, für die Verlegung der Gedenksteine eine Sondergenehmigung zu erteilen.
Für die Opfergruppe NS-Euthanasie ergibt sich folgende Situation:
Im Haus befinden sich ein Geschäft und eine Wohnung, die von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt wird. Hier ist es kein Problem, die Zustimmung zu erhalten.
Die Eigentümer des Geschäftshauses stehen der Thematik offen gegenüber. Neben der Zustimmung ist auch das Benutzen des Stromanschlusses möglich, damit Gunter Demnig den Pressluftbohrer einsetzen kann für die Öffnung des Asphalts.
Der Hauseigentümer äußert sich, jetzt habe er ein „Schmuckstück“ vor dem Haus.
Die Inhaberin des Geschäfts versäumt wegen Erkrankung und Abwesenheit ihre Widerspruchsmöglichkeit. So kommt es zur Verlegung, die aber nicht erwünscht ist. Eine Angestellte des Geschäfts soll verhindern, dass der „Stolperstein“ eingelassen wird, was aber aus rechtlichen Gründen nicht mehr geht. Die Hauseigentümerin behauptet, in dem Haus hätten keine Juden gelebt, was richtig ist. Und die Geschichte würde nicht stimmen. Das wiederum ist unzutreffend. Adressbücher im Stadtarchiv belegen die Richtigkeit meiner Argumentation. Ich biete der Geschäftsführerin an, den Sachverhalt in einem Gespräch zu erörtern. Daran aber hat sie kein Interesse. Fortan bedeckt eine Stele den Gedenkstein während der Geschäftszeit. („Besondere Ereignisse“)
Bei der Verlegung am 12. Oktober 2005 am Haus Schützenstr. 55 kommen zufällig nach ihrem Nachmittagsunterricht vier Schüler einer fünften Klasse der Friedrichschule vorbei. Sie werden aufmerksam auf die künstlerische Aktion und beginnen Fragen zu stellen. Auch sind sie am nächsten Tag in der regionalen Presse mit einem Photo abgelichtet. Da es sich überwiegend um Kinder mit Migrationshintergrund handelt, die auch noch gemeinsam in einer Ethikgruppe unterrichtet werden, nimmt die Lehrkraft zu mir Kontakt auf. Wir vereinbaren, dass ich die Gruppe im Unterricht besuche und über das Projekt berichte. In drei Sequenzen kann ich zusammen mit ihr und den Schülerinnen und Schülern am Thema arbeiten. Nachdem ich die Jugendlichen kennen lerne, steht Gunter Demnigs Idee im Zentrum ihres Interesses und ihrer Fragen. In der darauf folgenden Woche erörtern wir die „Lebensunwertproblematik“. Durch die Bildung von Gegensatzpaaren von Adjektiven wie krank, behindert – gesund, stark – schwach, klug - dumm usw. kommt die Gruppe von alleine darauf. In einer dritten Sequenz suchen wir Standorte von „Stolpersteinen“ im Stadtgebiet auf. Als wir uns dem Gedenkstein vor dem Haus Marktstr. 24 nähern, äußert sich ein Schüler, er fände es richtig gemein, dass dieser immer wieder verdeckt werde. Ich erkläre den Jugendlichen, dass die Hauseigentümerin den „Stolperstein“ vor ihrem Geschäft nicht wolle. Spontan möchte ein anderer Schüler am Nachmittag mit seinem großen Bruder noch einmal kommen, um die Eigentümerin danach zu befragen. Doch davon raten die Lehrkraft und ich ab.
Eines Tages verschwindet das Kleindenkmal spurlos, als die Stadt Lahr den Straßenbereich Marktstraße/Kirchstraße erneuert. Ich möchte Anzeige erstatten und der zuständige Polizist meint, das ginge mich gar nichts an, das sei Sache der Stadt Lahr. Diese erstattet tatsächlich Anzeige. Der Polizist wie auch der Stadthistoriker sind der Meinung, es werde wohl nichts dabei heraus kommen. Im Ergebnis liegen sie richtig.
Nicht verlegt wird der „Stolperstein“ für Elfriede Caroli. Ihre Lebensgeschichte hat der ehemalige Landtagsabgeordnete der SPD und langjährige Stadtrat Dr. Walter Caroli zusammen mit seinem Vetter Heinrich Caroli in „lieb undt leidt theilen – Die Carolis in fünf Jahrhunderten, Ein Beitrag zur Lahrer Stadtgeschichte“ 2008 veröffentlicht.
Ebenfalls nicht verlegt wird der Gedenkstein für meine Großmutter. Ein Gespräch mit der Eigentümerin des Anwesens, die das Haus von ihrer Großmutter geerbt hat, auf dem einst das Elternhaus meiner Großmutter stand, ergibt, dass sie das Anliegen mit ihrem Mann und mit ihrer Mutter besprechen möchte. Ihr Mann hat keine Einwände. Ihre Mutter möchte den Gedenkstein nicht vor dem Haus haben mit der Begründung, die Leute könnten ja auf die Idee kommen, das Haus sei einmal ein jüdisches gewesen.
So versuche ich als Alternativlösung, den Gedenkstein vor der Friedrichschule verlegen zu lassen, der Schule also, die meine Oma und ich zu unterschiedlichen Zeiten besucht haben. Der Rektor der Schule bespricht mein Anliegen in den schulischen Gremien, zuletzt in einer Gesamtlehrerkonferenz. Das Ergebnis, das mir mitgeteilt wird, ist positiv.