Auswirkungen des Gemeinderatsbeschlusses

Von der Möglichkeit, Einspruch zu erheben gegen die Verlegung eines „Stolpersteins“ haben Lahrer Bürgerinnen und Bürger Gebrauch gemacht.


Für ehemals „arisierte“ jüdische Immobilien von heutigen Hauseigentümern die Zustimmung für die Verlegung der Kleindenkmale zu bekommen, war keineswegs selbstverständlich. Bestanden Kontakte zu etwaigen Überlebenden oder wurde in den Familien über jene Vorgänge gesprochen, so war die Chance einer Zustimmung gegeben. Die Regel allerdings war, dass die Thematik als Problem wahrgenommen, verdrängt und beschwiegen wurde.


Für die fünf Gedenksteine, die am 12. Januar 2004 verlegt werden, bleibt folgendes zu sagen:



Zu welch absurden Formen der Gemeinderatsbeschluss führen kann, sei am Beispiel für die fünf Gedenksteine vor dem Haus Lotzbeckstr. 15 dargestellt. Sie werden am 17. Juli 2004 durch einen Mitarbeiter des Bauhofs verlegt. Im Haus befinden sich neun Eigentumswohnungen als Verwaltungsgemeinschaft. Alle sind zum damaligen Zeitpunkt vermietet, die Hauseigentümer wohnen verstreut im Bundesgebiet. Alle neun Hauseigentümer werden angeschrieben und um Zustimmung gebeten für die Verlegung der Gedenksteine. Drei Antworten kommen zurück: eine volle Zustimmung, eine Zustimmung, wenn keine Kosten entstehen und eine Ablehnung. Das veranlasst den Oberbürgermeister in Absprache mit dem Ältestenrat, für die Verlegung der Gedenksteine eine Sondergenehmigung zu erteilen.


Für die Opfergruppe NS-Euthanasie ergibt sich folgende Situation:





Bei der Verlegung am 12. Oktober 2005 am Haus Schützenstr. 55 kommen zufällig nach ihrem Nachmittagsunterricht vier Schüler einer fünften Klasse der Friedrichschule vorbei. Sie werden aufmerksam auf die künstlerische Aktion und beginnen Fragen zu stellen. Auch sind sie am nächsten Tag in der regionalen Presse mit einem Photo abgelichtet. Da es sich überwiegend um Kinder mit Migrationshintergrund handelt, die auch noch gemeinsam in einer Ethikgruppe unterrichtet werden, nimmt die Lehrkraft zu mir Kontakt auf. Wir vereinbaren, dass ich die Gruppe im Unterricht besuche und über das Projekt berichte. In drei Sequenzen kann ich zusammen mit ihr und den Schülerinnen und Schülern am Thema arbeiten. Nachdem ich die Jugendlichen kennen lerne, steht Gunter Demnigs Idee im Zentrum ihres Interesses und ihrer Fragen. In der darauf folgenden Woche erörtern wir die „Lebensunwertproblematik“. Durch die Bildung von Gegensatzpaaren von Adjektiven wie krank, behindert – gesund, stark – schwach, klug - dumm usw. kommt die Gruppe von alleine darauf. In einer dritten Sequenz suchen wir Standorte von „Stolpersteinen“ im Stadtgebiet auf. Als wir uns dem Gedenkstein vor dem Haus Marktstr. 24 nähern, äußert sich ein Schüler, er fände es richtig gemein, dass dieser immer wieder verdeckt werde. Ich erkläre den Jugendlichen, dass die Hauseigentümerin den „Stolperstein“ vor ihrem Geschäft nicht wolle. Spontan möchte ein anderer Schüler am Nachmittag mit seinem großen Bruder noch einmal kommen, um die Eigentümerin danach zu befragen. Doch davon raten die Lehrkraft und ich ab.


Eines Tages verschwindet das Kleindenkmal spurlos, als die Stadt Lahr den Straßenbereich Marktstraße/Kirchstraße erneuert. Ich möchte Anzeige erstatten und der zuständige Polizist meint, das ginge mich gar nichts an, das sei Sache der Stadt Lahr. Diese erstattet tatsächlich Anzeige. Der Polizist wie auch der Stadthistoriker sind der Meinung, es werde wohl nichts dabei heraus kommen. Im Ergebnis liegen sie richtig.


Nicht verlegt wird der „Stolperstein“ für Elfriede Caroli. Ihre Lebensgeschichte hat der ehemalige Landtagsabgeordnete der SPD und langjährige Stadtrat Dr. Walter Caroli zusammen mit seinem Vetter Heinrich Caroli in „lieb undt leidt theilen – Die Carolis in fünf Jahrhunderten, Ein Beitrag zur Lahrer Stadtgeschichte“ 2008 veröffentlicht.


Ebenfalls nicht verlegt wird der Gedenkstein für meine Großmutter. Ein Gespräch mit der Eigentümerin des Anwesens, die das Haus von ihrer Großmutter geerbt hat, auf dem einst das Elternhaus meiner Großmutter stand, ergibt, dass sie das Anliegen mit ihrem Mann und mit ihrer Mutter besprechen möchte. Ihr Mann hat keine Einwände. Ihre Mutter möchte den Gedenkstein nicht vor dem Haus haben mit der Begründung, die Leute könnten ja auf die Idee kommen, das Haus sei einmal ein jüdisches gewesen.


So versuche ich als Alternativlösung, den Gedenkstein vor der Friedrichschule verlegen zu lassen, der Schule also, die meine Oma und ich zu unterschiedlichen Zeiten besucht haben. Der Rektor der Schule bespricht mein Anliegen in den schulischen Gremien, zuletzt in einer Gesamtlehrerkonferenz. Das Ergebnis, das mir mitgeteilt wird, ist positiv.